
Es ist Nacht im Malwerk Mainz, die Lichter sind aus, die Mitarbeiterin schließt die Tür ab und es kehrt Ruhe ein. Die Straßenlaternen von der Weißliliengasse scheinen ganz sanft in die Räume. Der Autolärm lässt langsam nach – die Stadt begibt sich in die Nachtruhe.
Doch was ist das? Da war doch was? Spricht da jemand?
„Halloooo?“ hört man ein ganz leises Stimmchen. „Halloooo hört mich jemand?“
Ein kleiner Pinsel, sein Name ist Da Vinci – das steht jedenfalls auf seinem dunkelgrünen schlanken Körper – ruft aus dem Pinselbecher in den Raum.
„Was ist?“ „Hä?“ Was’n los?“ tönt es aus den anderen Bechern zurück.
„Ich bin neu hier und habe heute etwas sehr Schönes erlebt – darf ich euch davon erzählen?“ fragt Da Vinci ganz vorsichtig. „Klar.“ „Mach doch.“ Wenn’s cool ist.“, kommen die Antworten von überall her.

„Ich stehe schon eine ganze Weile hier in meinem Becher, aber heute, endlich, durfte ich auch einmal zum Einsatz kommen. Eine junge Frau, Katharina, war ihr Name hat mich ausgesucht. Ich durfte ihr helfen eine ganz besondere Schüssel zu gestalten. Sie hat den anderen Frauen am Tisch erzählt, ihre Mama sei im letzten Jahr gestorben und in einem Wald beigesetzt, dort gäbe es einen Erinnerungsbaum und sie wolle jetzt dazu passend eine Schüssel zum Thema „Wald“ bemalen.“
„So eine Malerin hatte ich auch heute.“, sagt der dicke Rote Pinsel aus dem Nachbarbecher, er hat keinen Namen. „Meine Malerin, Christine, sprach von Ihren Eltern, die beide wohl schon gestorben sind. Sie malte eine Schüssel in rosa mit Mandala Verzierungen (weil der Papa so gerne Mandalas gemalt hat), in die sie Beeren tun wollte. Und nebenan saß ihre Schwester Alex, die eine Schüssel mit braunen Tupfen und dem Wort „Hope“ gestaltet hat.“
Auf einmal melden sich immer mehr der unzähligen Pinsel aus den Bechern zu Wort.
Faber Castell berichtet: „Ja, Tanja hat eine wunderschöne grüne Tasse mit Blumen bemalt – auch ihre Eltern sind vor nicht so langer Zeit in einem sehr kurzen Abstand gestorben. Sagt mal, fällt euch was auf? Alle Malerinnen von heute haben etwas gemalt in Erinnerung an jemanden der gestorben ist!“
Pelikan meldet sich zur Wort: „Ja, ich durfte Marion helfen, Ihre Tasse zu bemalen. Sie hat Ihren Mann verloren und eine ganz wunderbare Idee gehabt, einen kleinen Zettel, den er ihr einmal geschrieben hat (es waren hunderte mehr) auf die Tasse zu übertragen.“
„Genau, das war die Mama von Jana, Jana war meine Malerin.“ ruft ein großer gelber Pinsel ohne Namen. „Sie hat eine Tasse gemalt, in Erinnerung an ihren Papa, mit einer Wolke mit hellblauer Farbe mit Sprenkeln drin. Und eine rosa Schüssel mit Herzen drauf und innen drin stand geschrieben – Never give up – “.
„Wisst Ihr, ich glaube, das waren ganz besondere Menschen, die da heute da waren.“, bemerkt ein großer blauer Pinsel namens Brunnen. „Sie alle trauern um einen lieben Menschen, den sie verloren haben und möchten über das Bemalen unserer Keramik hier einen Gegenstand schaffen, mit dem sie Erinnerungen an diesen Menschen verbinden.“
„Wow“, „Boah“, „Was eine großartige Idee“, „Das ist ja klasse“ tönt es aus allen Bechern. „Und wir durften ihnen dabei helfen!“ „Das macht uns stolz!“
„So, jetzt ist aber auch genug“ mischt sich auf einmal der allergrößte und dickste Pinsel namens Windsor in das Gespräch ein. „Schlaft jetzt und gebt Ruh‘ – morgen ist ein neuer Tag und es kommen neue Malerinnen und Maler.
„Aber diese heute waren etwas ganz Besonderes“ meldete sich der kleine DaVinci noch einmal zu Wort. „Die kamen über das Bestattungsinstitut Grünewald * Baum. Und ich bin mir sehr sicher, dass die mal wieder so besondere Menschen zu uns bringen, damit sie so ein besonderes Erinnerungsstück gestalten können.“
„Gute Nacht“ „Schlaft gut“ „Tschö bis morgen“
– Sabine Koch